Drei Fragen an Götz Gliemeroth, Generalleutnant a.D.

Drei Fragen an Götz Gliemeroth, Generalleutnant a.D.Götz F. E. Gliemeroth trat 1963 in die Bundeswehr ein und absolvierte die Ausbildung zum Offizier. Nach Verwendungen als Kompaniechef folgte der Generalstabslehrgang. Nach weiteren Kommandeursfunktionen war er im Bundesministerium der Verteidigung tätig. Vor Eintritt in den Ruhestand führte Generalleutnant Gliemeroth von August 2003 bis Februar 2004 die ISAF-Kräfte der Nato in Afghanistan.

Frage 1: Herr Gliemeroth, was sagen Sie jenen, die in Deutschland sagen: „Nichts ist gut in Afghanistan?“

Zweifellos gibt es beim zivilen Wiederaufbau des Landes trotz gewichtiger Kritikpunkte sehr bemerkenswerte Erfolge. Dies vor allem, wenn man bedenkt, dass Afghanistan im Jahr 2001 nach vorausgegangenem zehnjährigen Befreiungskampf gegen die damalige Sowjetarmee sowie dem anschließenden Bürgerkrieg und der nachfolgenden Taliban-Herrschaft wirtschaftlich und humanitär völlig am Boden lag.

Heute haben Dank der internationalen Hilfe mehr als 80 Prozent der afghanischen Bevölkerung eine Gesundheits-Basisversorgung und zudem Zugang zu trinkbarem Wasser. Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich verfünffacht, die Kindersterblichkeit ist um Mehr als ein Drittel gesunken. Es gibt derzeit über acht Millionen Schüler, von denen 2,7 Millionen Mädchen sind.

Große Teile des Landes haben inzwischen eine weitgehend stabile Energieversorgung. Zudem ist es gelungen, die afghanische Polizei sowie die afghanischen Streitkräfte auf die geplanten Gesamtumfänge anwachsen zu lassen und ihnen im Sommer vergangenen Jahres die Gesamtverantwortung für Afghanistan zu übertragen. Insoweit hat das Land auch im Sicherheitsbereich beträchtliche Fortschritte gemacht, wenngleich dies angesichts spektakulärer, einzelner Anschläge in der deutschen Öffentlichkeit oft anders wahrgenommen wird.

Frage 2: Was sagen Sie jenen in Deutschland, die behaupten: „Unsere Soldaten sind umsonst gefallen?“

Sinn und Wert des deutschen Engagements in Afghanistan erwuchsen aus der offenkundigen Hilfsbedürftigkeit dieses über Jahrzehnte zerrütteten Landes. Zur Absicherung des zivilen Wiederaufbaus in unbefriedetem, ja oft feindlichem Umfeld bedurfte es eines entsprechend robusten militärischen Mandates. Im Zuge dieser Operationen ist längst offenkundig geworden, wie sehr für unsere Streitkräfte Gefallene, Verwundete und traumatisierte Veteranen Teil einer neuen Wirklichkeit geworden sind.

Leider hatte die verharmlosende Sprache der Politik über längere Zeit dazu beigetragen, das die Bevölkerung in Deutschland kaum wusste, in welch gefährliche und belastende Operationen wir unsere Soldaten geschickt haben. Gerade in Anbetracht der zahlreichen, erbrachten Opfer darf als ein besonderes Sinnbild fundamentalen und zukunftsgerichteten Fortschritts vor allem die Tatsache gewertet werden, dass Afghanistan seit nunmehr zehn Jahren die zweifellos fortschrittlichste Verfassung Zentralasiens besitzt. Nicht zuletzt steht diese auch für eine inzwischen zunehmend praktizierte Teilhabe der Frauen an Politik und Berufsleben steht. In kaum einem anderen Feld manifestieren sich Sinn und Wert der  internationalen Unterstützung so unmittelbar.

Frage 3: Wie sehen Sie die Zukunft des Landes nach dem Abzug der ISAF-Kampftruppen am Ende dieses Jahres?

Aus der nicht unbeträchtlichen Sorge heraus, inwieweit die afghanischen Sicherheitskräfte nach Abzug der ISAF-Kampftruppen auf sich allein gestellt ein hinlängliches Maß an Sicherheit und Stabilität für den weiteren Aufbau des Landes gewährleisten können, hat die Nato bereits Mitte vergangenen Jahres eine Folgemission konzipiert. Ziel dieser gänzlich neuen, entsprechend auch von den Vereinten Nationen neu zu mandatierenden Mission „Resolute Support“ ist es, die afghanischen Sicherheitskräfte fortan nur noch mit Ausbildungs- und Mentorenteams auf höherer Führungsebene zu unterstützen. Kampfeinsätze sind dabei ausdrücklich ausgeschlossen, mit der Ausnahme von Befreiungsaktionen eigener Kräfte.

Derzeit rechnet die NATO mit einem zukünftigen Truppenumfang von circa 8.000 bis 12.000 Soldaten. Deutschland hat hierzu einen Beitrag von immerhin 600 bis 800 Soldaten zugesagt, allerdings unter der Voraussetzung eines einvernehmlichen und völkerrechtlich belastbaren Truppenstatuts.

Zudem wird losgelöst von der Mission „Resolute Support“ auch künftig unter gesondertem UN-Mandat eine schlagkräftige Komponente mit Befähigung zu Anti-Terror-Operationen unabdingbar bleiben. Insoweit ist absehbar, dass bis Ende 2014 beileibe nicht jeder alliierte Soldat Afghanistan verlassen haben wird. Diese sich abzeichnenden Maßnahmen, Afghanistan auch künftig längerfristigen Beistand zu leisten, gilt es allerdings dringlichst auch in unserem Land politisch zu kommunizieren.

Die Fragen stellte Rolf Tophoven, Direktor des IFTUS – Institut für Krisenprävention.

Quellenangaben
Titelbild: Rolf Tophoven

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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