„Tinte gegen Taliban“, so titelte die „Süddeutsche Zeitung“ am Tag nach den jüngsten Wahlen in Afghanistan. Schon vor der Wahl für einen Nachfolger des noch amtierenden  Präsidenten Hamid Karsai hatten die islamistischen Taliban gedroht, allen Menschen den Finger abzuhacken, wenn sie daran Wahltinte entdeckten. Doch die Drohungen der „Gotteskrieger“ blieben weitgehend wirkungslos.

Stattdessen überraschte die  hohe Wahlbeteiligung. Über sieben Millionen – und damit mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten – gaben ihre Stimme ab. Was den Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen dazu bewegte, von einem „historischen Moment für Afghanistan“ zu sprechen. Erst im Mai soll dann das offizielle Endergebnis bekannt gegeben werden.

Allein die Tatsache, dass die Terrorkampagne der Taliban vor der Präsidentenwahl nicht im befürchteten Maß eskalierte, dass sich die Afghanen nicht einschüchtern ließen, den Wahllokalen fernzubleiben, weist die auch in Deutschland weitverbreitete These zurück, in Afghanistan sei nun alles schlecht und nichts gut und auch der Einsatz deutscher Truppen am Hindukusch sei gescheitert! Befeuert hatte die These von allem Schlechten in Afghanistan bereits vor vier Jahren das böse Wort „Nichts ist gut in Afghanistan“, damals ausgesprochen von der Kanzel der Dresdner Frauenkirche durch die Ex-Bischöfin und frühere EKD-Ratsvorsitzende Dr. Margot Käßmann.

Es war  in der Tat eine unsachliche, undifferenzierte, Aussage – plakativ und populistisch. Was dem Mainstream in Deutschlands Tribut zollte, war bei strenger Betrachtung auch ein Schlag ins Gesicht jener Männer und Frauen der Bundeswehr, die unter Einsatz ihres Lebens in Afghanistan dafür sorgten, dass das geschundene Land am Hindukusch aus jahrzehntelangen Kriegswirren, Rückständigkeit und bitterer Armut wieder etwas in die Zivilisation zurückgeholt werden sollte.

Fehleinschätzungen im Westen
Auch das euphorische Gerede westlicher Politiker von „Demokratie“ und dem Aufbau „demokratischer Verhältnisse“ zeugte von Beginn an von Unverständnis und Unwissen von jenem fernen Land, dessen Gesellschaft auf Stammes- und Clanstrukturen basierte und wo im täglichen Umgang der Menschen miteinander das Vertrauen (!) den wichtigsten Faktor darstellt. Wer hätte dies je besser und brutaler erfahren als unsere Soldaten im täglichen Einsatz in diesem Land. Besser jedenfalls als all jene, die aus gesicherten Heimatpositionen Werturteile abgeben über Sinn oder Unsinn militärischer Unternehmungen.

Jetzt haben die Menschen in freier Wahl den zukünftigen Präsidenten gewählt – trotz massiver Drohungen der Taliban, die Wahl zu torpedieren. Millionen Afghanen aller Altersstufen und beider Geschlechter haben am 5. April den Drohungen der Taliban widerstanden, um einen Nachfolger des noch amtierenden Präsidenten Hamid Karsai zu wählen, der nach zwölf Jahren an der Macht nicht mehr antreten durfte. Und dies geschah trotz Störungen durch radikalislamische Talibantrupps in manchen Wahlbezirken, trotz diverser Terrorbomben an den Tagen vor der Wahl und am Wahltag selbst. Allein, dass die Menschen sich vor den Wahllokalen  in langen Schlangen einreihten, ist ein Erfolg der ISAF-Mission, wenngleich nur ein erster zaghafter Schritt in Richtung bessere Zukunft, zu dem auch die Soldaten der Bundeswehr in ihrem Regional-Command North (Nordkommando) entscheidend beigetragen haben.

Falsche Maßstäbe
Denn  immer wieder wurden in der deutschen Bevölkerung schnelle Urteile gefällt, wenn es um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ging. Dabei wurden europäische Maßstäbe angelegt, ohne die regionale Unterschiedlichkeit der Lage und Lageentwicklung in Afghanistan zu berücksichtigen. Pauschalurteile verbieten sich daher von selbst! Dies sei auch Margot Käßmann ins Argumentationsbuch geschrieben. Denn es gibt sehr wohl Gutes in Afghanistan, trotz der in vielen Bereichen fragilen Lage, mit immer wieder verheerenden Anschlägen bis ins Regierungszentrum von Kabul hinein. Im Norden des Landes, wo die Bundeswehr die Führungsrolle einnimmt , fließt der Verkehr auf geteerten Straßen, die Infrastrukturen sind im Vergleich zum Beginn der ISAF-Mission deutlich verbessert. In den Provinzen des Nordens haben die afghanischen Sicherheitskräfte Führung, Planung und Durchführung der Sicherheitsaufgaben übernommen. Ende 2014 läuft das ISAF-Mandat aus, eine Folgemission „Resolute Support“ ausschließlich für Beratung und Ausbildung des afghanischen Sicherheitsapparats ist angedacht, aber noch nicht vertraglich abgesichert. Westliche Kampftruppen sind dann sowieso nicht mehr vorgesehen.

Gewiss bleiben noch viele Probleme und Herausforderungen, die sich vor den Afghanen und ihren internationalen Helfern auftürmen. Aber eines wird immer wieder in der öffentlichen Debatte vergessen, wenn an Stammtischen oder in privaten Zirkeln meist in Unkenntnis lapidar der Satz fällt: „Was machen wir dort eigentlich, das bringt doch nichts!“ Und in den Medien oder in Vorträgen fällt dann oft der fatale Satz: „54 deutsche Soldaten sind umsonst gefallen!“ Sie sind aber nicht umsonst gefallen, sondern in Erfüllung ihrer Pflicht, ihres Berufs und ihres Auftrags! Denn die Kritiker vergessen allzu leicht, dass unsere Soldaten im Auftrag des gewählten deutschen Parlaments in den Einsatz geschickt wurden. Keiner aus freien Stücken! Denn Afghanistan ist kein Ort für Heldenlieder!

Viel wurde erreicht
Umsonst war nichts in Afghanistan! Deutsche Soldaten haben unter anderem dazu beigetragen, Terror, Gewalt gegen Zivilisten, Angriffe gegen Frauen und den Aufbau verbrecherischer Strukturen zu verhindern oder zumindest einzudämmen. Afghanistan ist daher vorerst kein Biotop des Terrorismus’ mehr wie noch zu Zeiten al-Qaidas und der Talibanherrschaft vor dem 11. September 2001.

Vieles ist im Kleinen geblieben und verharrt noch in den Anfängen. Aber allein der Zugang von jungen Frauen zum Parlamentssitz, von Mädchen zum Studium oder zur Schule mutet sensationell an in einem Land, das in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens noch archaische Strukturen aufweist.

Es sind jene bescheidenen oft vorsichtigen, tastenden Bewegungen in einem auf Jahre angelegten Prozess, die Hoffnung für dieses Land bringen. Hierzu hat der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam, Generalleutnant Hans-Werner Fritz, in einem Interview mit dem Security Explorer  festgestellt: „Ziel des ISAF-Einsatzes war von Beginn an die Unterstützung des Wiederaufbaus des afghanischen Staates durch die Schaffung tragfähiger Regierungs- und Verwaltungsstrukturen und den Aufbau durchsetzungsfähiger Sicherheitskräfte. Dies bedeutete die Übernahme umfassender Verantwortung. Erfolge stellen sich nur auf lange Sicht und nur in kleinen Schritten ein. So hat sich sowohl die Sicherheitslage als auch die Lage der Bevölkerung in vielen Provinzen Afghanistans deutlich verbessert. Der Zugang zu Trinkwasser, medizinischer Versorgung, zu Schulen und Universitäten ist wesentlich einfacher geworden. Die erweiterte Versorgung mit Energie und eine weit ausgebaute Verkehrsinfrastruktur kommen der Bevölkerung zugute. Politische Partizipation ist möglich.“

Letzteres haben die Afghanen durch die hohe Wahlbeteiligung bei der Präsidentenwahl bewiesen! Allein das ist bei aller verbleibender Skepsis ein Beleg dafür, dass doch einiges gut ist in Afghanistan. Dies Frau Dr. Käßmann ins Stammbuch!