Hintergründe zu Strömungen im Islam

Islamismus ist die Bezeichnung für alle Ideologien und politischen Auffassungen die einen Gottesstaat auf Grundlage des islamischen Rechtes verfolgen wollen. Die Gesellschafts- und Staatsordnung ist dabei allein religiös legitimiert. Vertreter des Islamismus können ihre Ziele friedvoll oder mit Gewalt, also durch den Jihad, verfolgen.

Jihadismus/Dschihadismus ist eine extremistische und militante Strömung des Islams. Sie bezieht sich auf den „kleinen Jihad“, einen militärischen Kampf, der nur in spezifischen Einzelfällen zur Verteidigung der Religion geführt werden darf. Die Legitimität des „kleinen Jihads“ wird im Einzelfall geprüft und muss von einem Rechtsgelehrten entschieden werden. Der totale und zeitlich unbegrenzte Heilige Krieg des IS ist in seiner Form nicht mit den Grundzügen des Islam vereinbar.

Salafismus ist eine sehr konservative Strömung des Islams und kann auch als traditioneller Islamismus bezeichnet werden. Dessen Verfechter missionieren für eine idealisierte Gesellschaft des ursprünglichen und unverfälschten Islams. Dieser soll vom Propheten Muhammed und dem ersten Muslimen, dem „al-salaf al-salih" (den „rechtschaffenen Altvorderen"), praktiziert worden sein. Die Vertreter des Salafismus stützen sich dabei auf den Koran und die Sunna (die Prophetentradition). Sie folgen der Scharia (der islamischen Rechtsprechung) genau, sind aber weniger als die Islamisten an einer Staatsdoktrin und an Glaubenslehren interessiert. Salafismus kann in drei Unterkategorien aufgeteilt werden, die die Ordnung der Scharia auf unterschiedliche Weise durchsetzen wollen:

  • Purismus: Hier steht die Missionsarbeit an erster Stelle.
  • Politischer Salafismus: Hier wird die demokratische Grundordnung in Frage gestellt.
  • Jihadistischer Salafismus: Befürwortet Gewalt, den Jihad, um die Ordnung der Scharia durchzusetzen.

Sunniten (Sunna) und Schiiten (Schia): Die Todfeindschaft der Sunniten und Schiiten begründet sich im Kern in der Geschichte des Propheten Mohammed und seiner Lieblingsfrau Aisha. Der Koran berichtet, dass Aisha auf einer Expedition für zwei Tage verschollen war, bevor sie wieder zu der Karawane Mohammeds stieß. Da sie in Begleitung eines jungen Beduinen war, wurde von einigen Mitgliedern der Karawane Verdächtigungen über Aishas Untreue verbreitet. Insbesondere Ali Ibn Abi Talib, der Neffe und Schwiegersohn des Propheten Mohammed, provozierte diesen und seine Frau Aisha. Der Prophet entschärfte die Verdächtigungen mit einer Offenbarung, die ihm durch einen Erzengel zugetragen wurde, wonach jeglicher Vorwurf gegen Aisha auf einer Lüge beruhe. Aisha jedoch vergab Ali nicht und intrigierte, sodass nicht Ali – wie in der Erbfolge vorgesehen – der erste Nachfolger des Propheten Mohammed und demnach zweiter Kalif wurde, sondern ihr Vater. Ali Ibn Abi Talib, um die Erbfolge betrogen, sollte nun als vierter Kalif genannt werden. Auch hier wollte Aisha intervenieren und brachte einen Gegenkandidaten als Kalifen-Anwärter ins Spiel. Ali Ibn Abi Talib wurde mit seinem Gefolge im folgenden Kampf in die Oase Kufa verdrängt. Hier errichtete er einen Gottesstaat, den die heutigen Schiiten als perfekten Gottesstaat heiligen. Die Muslime um Aischa und ihren neuen Kandidaten gründeten die neue Dynastie Omayyaden mit Zentrum in Damaskus. Die Spaltung der islamischen Gemeinschaft (Umma) vertiefte sich durch das unterbitterliche Vorgehen der Sunna gegen die Schia und dauert bis heute an.

Daraus ergibt sich, dass der Prophet Mohammed den Sunniten so heilig ist, dass er nicht in bildlicher Weise dargestellt werden darf. Wohingegen die Schiiten glauben, dass es nur einen einzigen Gott gibt und Mohammed lediglich der Prophet Gottes ist. Hingegen ist Ali Ibn Abi Talib, der Begründer der schiitischen Glaubensauffassung, der wahrhaftige zweite Statthalter (Kalif) Gottes auf Erden. Schiiten und Sunniten unterscheiden und bekämpfen sich also weniger wegen theologischer Gründe als wegen der politischen Differenzen, wer der wahre Nachfolger von Mohammed und zweiter Kalif war. Nachdem Ali Ibn Abi Talib die Erbfolge als zweiter Kalif verloren hatte und ihm auch die Position des vierten Kalifen von den Sunniten streitig gemacht wurde, führten die Schiiten den Imam als politisches und rechtmäßiges Oberhaupt des Islam ein. Ali Ibn Abi Talib war der erste der zwölf Imame und als einziger auch Kalif.

Alawiten (auch Nusairier) hingegen gehörten zur schiitischen Strömung des Islams, deren wichtigster Heiliger Ali Ibn Abi Talib ist. Der Prophet Mohammed hat demnach keine hohe Stellung in der alawitischen Glaubensauffassung. Trotzdem werden die Alawiten von Sunniten und Schiiten gleichermaßen als „abscheuliche Ketzer geschmäht“ (Scholl-Latour, 2014, S.45) und als esoterische Sekte verstanden. Sie sollen sich im 9. Jahrhundert von der schiitischen Strömung des Islams abgespalten haben (S.62) und sind seither Opfer der Verfolgung, wie im 16. Jahrhundert im Ausrottungsfeldzug des sunnitisch-türkischen Sultans Selim I. Die Alawiten differenzieren sich von Schiiten und Sunniten in theologischer Hinsicht insofern, als dass sie an Seelenwanderung glauben und als Gnostiker auch an eine verborgene Botschaft im Koran. Das widerspricht den Sunna und Schia, die den Koran größtenteils wörtlich interpretieren. Die Alawiten findet man heute hauptsächlich in Syrien, in der Türkei und im Libanon.

Aleviten: Nicht zu verwechseln sind die Alawiten mit den türkischen und kurdischen Aleviten. Letzteres ist eine Strömung des Islam, die im 13./14. Jahrhundert durch turkmenische Zuwanderer in Anatolien entstand. Wie die Alawiten und die Mehrheit der Schiiten glauben sie an die Zwölfer-Schia, das heißt, dass es zwölf Imame gab (andere Schiitische Gruppierungen glauben nur an 7 Imame). Im Gegensatz zu den Sunniten, Schiiten und Alawiten halten sich die Aleviten jedoch nicht an die fünf Glaubenssäulen des Islam sowie an die Mehrzahl der Gebote und Verbote. Auch werden die Aleviten als mystische und schamanistische Sekte angesehen. Alawiten und Aleviten unterscheiden sich außerdem in ihrer Auffassung der autoritären Personen und der Rolle der Frau. Während die Frauen der Aleviten an den Ritualen teilnehmen dürfen, ist dies den Frauen in der alawitischen Glaubensrichtung untersagt.

Die fünf Säulen des Isla

  1. Öffentliches Glaubensbekenntnis
  2. Tägliches rituelles Gebet
  3. Soziale Spende
  4. Fasten während des Ramadans
  5. Wallfahrt nach Mekka

Obwohl die vier Glaubensrichtungen alle zum Islam gehören und auf dem Koran basieren, haben die Gier nach Macht und Einfluss sowie der Wunsch nach der Vormachtstellung des „richtigen Glaubens“ die Muslime geteilt. So ist die Geschichte des Islams geprägt von Verfolgung, Ermordung und Unterdrückung der Anhänger der einzelnen Glaubensrichtungen untereinander. Die Grenzziehung des Westens im Mittleren Osten hat keine ethischen und religiösen homogenen Nationalstaaten kreiert. Sie verlangt, dass Sunniten, Schiiten, Alawiten und Aleviten unter einer Regierung leben, was oft Unterdrückung und Machtkämpfe zu Folge hat.

Religiöse Zusammensetzung im Mittleren Osten: Die Mehrzahl der Muslime gehört der sunnitischen Glaubensrichtung an. Die zweitgrößte Gemeinschaft stellen die Schiiten dar, gefolgt von den Alawiten und den Aleviten. Während Syrien mehrheitlich sunnitisch ist, wird das Land von einer alawitischen Regierung unter Präsident Bascha al Assad geführt. Der Irak hingegen in mehrheitlich schiitisch, war jedoch lange unter Saddam Hussein in sunnitischer Hand. Die Bevölkerung des Irans besteht zu etwa 90 Prozent aus Schiiten.

Friederike Wegener
Friederike Wegener, freie Mitarbeiterin des Security Explorer. Friederike Wegener studierte European Studies in den Niederlanden und Süd-Korea und hat einen Masterabschluss der französischen Universität Sciences Po Paris in International Security mit Fokus auf den Nahen Osten und Intelligence. Sie sammelte bereits Arbeitserfahrung bei consulting plus, der Delegation der Europäischen Union zu den Vereinten Nationen in Wien und bei dem UN Flüchtlingshilfswerk für die Palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten. Derzeit arbeitet sie bei der Europäischen Kommission im Generaldirektorat Migration und Inneres, in der Unit Prävention von Radikalisierung als Policy Officer in Brüssel. Im August 2018 erschien ihr Buch „Quo Vadis Palästina“ bei consulting plus, in dem sie das Leben als deutsche Studentin im besetzten Gebiet beschreibt und Einblicke in die komplexe politische nationale und international Konfliktlage im Arabisch-Israelischen Konflikt gibt.
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