Wie ist der „Islamische Staat (IS)“ entstanden?

Entstehung im Irak
Die Geschichte des IS beginnt 2000 im Irak mit dem Jordanier Abu Musab az-Zarqawi, der die Gruppe unter dem Namen Tauhid (Bekenntnis zur Einheit Gottes) in Afghanistan gründete. Die hauptsächlich jordanischen und palästinensischen Mitglieder der Gruppe setzten anfangs ihre Interessen als Ziele der Gruppe durch. Die Gruppe floh jedoch 2001 aus Afghanistan und lies sich 2003 im Irak nieder. Nach dem Fall Saddam Husseins bekämpfte Zarqawi die amerikanischen Truppen, was zu einem enormen Zulauf irakischer Kämpfer führte, und benannte die Gruppe in at-Tauhid wa-l-Jihad (Einheitsbekenntnis und Heiliger Krieg) um. Die sunnitisch-islamistische Gruppierung erweiterte ihren Kampf gegen den neuen irakischen Staat, der mit Hilfe der Amerikaner die Form einer liberalen Demokratie annehmen sollte. Dabei schloss sich Zarqawi 2004 al-Qaida an, benannte seine Organisation erneut in al-Qaida fi Bilad ar-Rafidain (al-Qaida im Zweistromland) um und übernahm die Ziele der Zentrale in Pakistan: einen Islamischen Staat (die Unterordnung von Staat und Gesellschaft unter den Islam) im Irak zu gründen und über die Grenzen hinweg zu erweitern. Der Irak zerfiel im Bürgerkrieg zwischen der schiitischen Mehrheit und der sunnitischen Terrororganisation, wie al-Qaida. Die Ideologie Zarqawis war in vielerlei Hinsicht radikaler als die des al-Qaida Zentrums in Pakistan. Trotz deutlicher Ermahnungen des Bin Laden-Stellvertreters Aiman az-Zawahiri im Jahr 2005, bekämpfte Zarqawi alle Ungläubigen – wozu aus sunnitischer Sicht Schiiten ebenso zählen wie Juden und Christen – und übte immense Gewalt gegen Zivilisten aus. Da Zarqawi im Namen al-Qaidas kämpfte, war eine deutliche Reduzierung der al-Qaida Anhänger zu spüren. Gleichzeitig kippte die Stimmung in der terrorisierten schiitischen Bevölkerung des Landes zugunsten der US-Truppen, was letztlich drastische Rückschläge gegen al-Qaida im Irak zur Folge hatte.

Den enormen Zerfall der von ihm gegründeten Gruppe erlebte Zarqawi nicht mehr, da er im September 2006 bei einem amerikanischen Luftangriff getötet wurde. Einen Monat nach seinem Tod erlebte die Gruppe einen erneuten Namenswechsel zu Islamischer Staat im Irak (ISI), führte jedoch unverändert die extreme Ideologie Zarqawis weiter. Der Namenswechsel war allerdings ein klares Zeichen an al-Qaida und andere jihadistische und sunnitische Gruppierungen, dass der ISI die Herrschaft im Irak übernehmen wollte. Zwischen 2006 und 2010 war der ISI allerdings einer zerstörerischen US-Offensive ausgesetzt, wodurch sich der Einfluss immens reduzierte.

Dies änderte sich schlagartig mit dem Abzug der US-Truppen 2011 und der neuen Führung unter Abu Bakr al-Baghdadi. Die zerrüttete Struktur der Gesellschaft und Legitimitätskrisen der irakischen Regierung baten eine hervorragende Grundlage für den ISI. Machtgewinn und eine unerbittliche Verfolgung der Ziele des ISI waren die Folge. Der kompromisslose Anspruch auf Alleinherrschaft sowie die Brutalität gegen sunnitische Gruppierungen und die Zivilbevölkerung brachten dem ISI große Territorialgewinne im Westen und Nordwesten des Iraks ein, wie die Übernahme der Millionenstadt Mosul 2014.

Entstehung in Syrien
Mit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien und dem Eingreifen internationaler Streifkräfte gegen den Präsidenten Bashar al-Assad im Jahr 2011 entstand eine ideale Situation für extremistische Terrororganisationen. Baghdadi nutze die Situation zu Beginn der Aufstände, indem er Kämpfer des ISI nach Syrien schickte, um die aufständische, hauptsächlich sunnitische Bevölkerung gegen die alawitische Regierung zu unterstützen. Unter der Führung des Syrers Abu Muhammad al-Jaulani wurde die Gruppe Jabhat an-Nusra li-Ahl ash-Sham (Unterstützung für das syrische Volk) gegründet – zum damaligen Zeitpunkt verflochten mit al-Qaida und ISI. Mit der Zeit entwickelte sich die Gruppe zur stärksten und einflussreichsten Organisation. Dies ist unter anderem auf die Expertise syrischer Kämpfer zurück zuführen, die 2003 unter der ISI gegen die Amerikaner kämpften.

Die Beziehung der Nusra Front und ISI verschlechterte in den folgenden zwei Jahren, weil sich der syrische Ableger mehr zu al-Qaida hin orientierte und mit nicht-jihadistischen Regimegegnern kooperierte. Aus Sorge die Alleinherrschaft zu verlieren, verkündete Baghdadi am 8. April 2013 den Zusammenschluss der Nusra-Front und ISI unter dem Namen „Islamischer Staat in Syrien und Irak“. Dies hatte eine Absplitterung der Nusra Front zur Folge. Jaulani und seine Anhänger widersetzten sich diesem Ausruf und rückten näher an die al-Qaida-Zentrale heran, welche das Vorhaben Baghdadis jedoch nicht stoppen konnte und lediglich die Verbindung zu ihm kündigte. Während manche Nusra-Kämpfer freiwillig zum ISIS überliefen, waren andere durch die Übernahme des ISIS von Posten und Gebieten der Nusra-Front zum Überlaufen gezwungen. Seitdem bekämpft der ISIS die kurdischen Regierungstruppen im Irak und das syrische Regime als Überbleibsel der Nusra-Front und anderer islamistisch-salafistischer Gruppierungen wie die Freien Männer von Syrien (Ahrar ash-Sham). Gleichzeitig widersetzt er sich den Offensiven westlicher Truppen.

Von ISIS zu IS
Nach der Machtdemonstration durch die Einnahmen weiter Teile des Nordiraks und der Stadt Mosul sowie durch die Vormachtstellung in Syrien, ließ sich Baghdadi als Kalif aller Muslime ausrufen. Das besiegelte den endgültigen Bruch mit al-Qaida, da ihn dieser Schritt zum obersten Chef aller muslimischen Kommissionen und Räte macht. Folglich erweitert es auch den angestrebten Islamischen Staat unter seiner Herrschaft über die Grenzen des Iraks und Syrien hinaus und lässt ISIS zu IS werden. Eine genaue Mannstärke für den IS zu benennen ist schwierig, Schätzungen vom September 2014 schwanken zwischen 70.000 (nach russischen Angaben) und 200.000 (nach kurdischen Angaben) Kämpfern innerhalb des Irak und Syriens. Auf Grund der aktuellen Entwicklungen und territorialen Einnahmen des IS ist eine erneute Namensänderung der Terrormiliz im Gespräch. So berichtet das BKA nun über ISIG, der Islamische Staat im Irak und Großsyrien. Es ist zu erwarten, dass ähnliche leichte Anpassungen des Namens in der Zukunft vorgenommen werden.

Quellen:

G. Steinberg, Der Islamische Staat im Irak und Syrien, Bundeszentrale für Politische Bildung, 2014.

G.Bilal, Der „Islamische Staat“: Interne Struktur und Strategie, Bundeszentrale für Politische Bildung, 2015.

Österreichische Nachrichtenseite Salzburger Nachrichten, September, 15, 2014.

Russian News Agency Tass, Islamic State formations comprise up to 70,000 gunmen — Chief of Russia’s General Staff, Dezember,10,2015

P. Cockburn, War with Isis: Islamic militants have army of 200,000, claims senior Kurdish leader, The Independent, November, 16, 2014

ASW-Mitteilung, BKA Information 057/15, Auszüge der Wochenlage, November, 13, 2105.

Friederike Wegener
Friederike Wegener, freie Mitarbeiterin des Security Explorer. Friederike Wegener studierte European Studies in den Niederlanden und Süd-Korea und hat einen Masterabschluss der französischen Universität Sciences Po Paris in International Security mit Fokus auf den Nahen Osten und Intelligence. Sie sammelte bereits Arbeitserfahrung bei consulting plus, der Delegation der Europäischen Union zu den Vereinten Nationen in Wien und bei dem UN Flüchtlingshilfswerk für die Palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten. Derzeit arbeitet sie bei der Europäischen Kommission im Generaldirektorat Migration und Inneres, in der Unit Prävention von Radikalisierung als Policy Officer in Brüssel. Im August 2018 erschien ihr Buch „Quo Vadis Palästina“ bei consulting plus, in dem sie das Leben als deutsche Studentin im besetzten Gebiet beschreibt und Einblicke in die komplexe politische nationale und international Konfliktlage im Arabisch-Israelischen Konflikt gibt.
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