Terrordrohungen – Russlands Angst vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi

Ein terroristischer Doppelschlag traf erneut Wolgograd, das frühere Stalingrad. Im Zweiten Weltkrieg wendete sich hier das Kriegsgeschehen an der Ostfront zugunsten der Roten Armee. Seither gilt Wolgograd für viele in der russischen Geschichte als Heldenstadt, als eine Art nationales Symbol – die Auswahl des Zielobjekts war daher ein perfektes Kalkül des Terrors! Bei der Auswahl dieses Zieles könnten zudem  auch taktisch/operative Gründe eine Rolle gespielt haben, denn Wolgograd liegt immerhin 700 Kilometer von Sotschi entfernt. Und da die russischen Behörden die Olympiastadt inzwischen in einen „Hochsicherheitstrakt“ umfunktioniert haben, wichen die Drahtzieher und Attentäter der Anschläge in entferntere Gebiete aus und trafen so genannte „weiche“ Ziele wie den Bahnhof und den Bustransfer in Wolgograd. Am Sonntag (29.Dezember 2013) zündete ein Selbstattentäter am Eingang zum Hauptbahnhof eine Schrapnell-Bombe und riss 17 Menschen in den Tod. Am folgenden Tag, einem Montag im dichtem morgendlichen Berufsverkehr zerstörte ein Sprengsatz einen vollbesetzten Bus. 16 Personen darunter auch Kinder und viele Studenten fanden den Tod. Bereits zwei Tage vor dem ersten Anschlag in Wolgograd waren bei einem Bombenanschlag in der südrussischen Stadt Pjatigorsk zwei Polizisten getötet worden. Der Anschlagsort liegt nur ca. 270 Kilometer von Sotschi entfernt.

Ein Fanal des Terrors, das bereits im Juli dieses Jahres vom tschetschenischen Terrorführer Doku Umarow angekündigt worden war. „Mit allen Mittel, die Allah erlaubt“, wolle er und seine Kommandos die Spiele am Schwarzen Meer verhindern, kündigte Umarow in einem Videoclip an. 2007 hatte der tschetschenische Untergrundführer schon das sogenannte „Kaukasus Emirat“ ausgerufen, an dessen Spitze sich Umraow selbst sieht. Bewaffneter Widerstand unter dem Banner und der Parole des Dschihad wird adaptiert und von Umarow gelenkt. Denn unter den muslimischen Regionen Russland und des gesamten postsowjetischen Raums galt der Nordkaukasus schon seit langem als Biotop islamistischen Denkens, ausgetragen mit terroristischen und guerillakriegsähnlichen Taktiken.

Die Vorgeschichte
Dabei zielt die Speerspitze des Widerstandes primär gegen Russland. Dennoch ist das Kaukasus Emirat durchaus verknüpft mit der Szene des globalen Dschihad. Ungewiss ist allerdings, ob das Kaukausus-Emirat ein Ableger al-Qaidas ist. Als sicher gilt jedoch, dass sich Umarows Kämpfer ideologisch mit der „Internationale“ verschiedener Dschihad Regionen verbunden fühlen. Die beiden Tschetschenien-Kriege in den 1990er-Jahren und das brutale Vorgehen der Russischen Armee sowie die mit äußerster Härte rücksichtslos geführte Widerstandsbewegung haben bis heute in regelmäßigen Abständen zu schwersten Terroroperationen unter dem Kommando von Rebellenführer aus dem Nordkaukasus bis hinein ins politischen Zentrums Russlands, bis nach Moskau, geführt. Aus dem blutigen Spektrum der Gewalt seien nur die tödlichen Anschläge auf die Moskauer Metro im März 2010 (40 Tote) und auf den neuen Flughafen Domodedowo im Januar 2011 (37 Tote) genannt.

Nach dem Anschlag im Wolgograd im Vorfeld der Spiele von Sotschi kehren Ängste und Befürchtungen in Russland zurück. Den Organisatoren bangt vor einer Torpedierung der Spiele durch einen aus der konfliktreichen russischen Region des Nordkaukasus kommenden Terroranschlags. Die Furcht vor Doku Umaraows Terrorkader geht um! Daraus resultiert eine Kostenexplosion für die Sicherheitsarchitektur der Spiele in bisher für Olympische Spiele nie gekannte Höhen: Rund 37,5 Milliarden Euro stehen zu Buche! Ein Aufwand, der den permanenten Terrorgefahren bei sportlichen Großereignis, erst recht seit München 1972, geschuldet ist. In Russland kommt noch hinzu, dass Olympia am Schwarzen Meer das Prestige- und Imageprojekt des Präsidenten Wladimir Putin ist – wodurch der Sicherheitsaufwand noch einmal drastisch potenziert wird.

Verschiedene Szenarien durchgespielt
Wie Alexander Bortnikow, Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, kürzlich mitteilte, wurden  seit 2012 bereits 15 verschiedenartige Anti-Terror-Szenarien durchgespielt, sieben davon allein in der Stadt Sotschi. Jetzt im November soll in einer groß angelegten Übung die Sicherheit von 270 olympischen Objekten (Sportstätten, Wohnungen etc.) getestet werden. Besucher, aber auch Sportler, müssen sich auf beispiellose Sicherheitsmaßnahmen einstellen. Die Federführung für die gesamte Sicherheit in und um Sotschi liegt beim Inlandsgeheimdienst FSB. Dieser plant eine lückenlose Überwachung der elektronischen Kommunikation an und über allen olympischen Stätten. So wurden beispielsweise die Telekommunikationsanbieter verpflichtet, dem Geheimdienst direkten Zugang zu allen Daten zu gewähren. Denn Russland Sicherheitsexperten wissen, niemals erreichten Terroristen eine größere weltweite mediale Aufmerksamkeit als durch einen Anschlag bei Olympischen Spielen – die Mörder von München sind dabei ein makabres Vorbild! Um dies zu vermeiden erhält Russland für Sotschi auch technische Hilfe durch US- und britische Experten.

Die Decke beabsichtigter absoluter Sicherheit, die FSB zusammen mit Polizei und Militär über die Winterspiele von Sotschi stülpen wollen, könnte jedoch auch durch jene militanten Islamisten zerrissen werden, die derzeit noch auf einem anderen Schlachtfeld für den Dschihad kämpfen – nämlich in Syrien. Im Kampf der Rebellen gegen das Regime des Präsidenten Baschir Assad versammeln sich nicht nur westeuropäische Dschihadisten an der Seite der syrischen Opposition. Auch nordkaukasische Kämpfer aus den südrussischen Provinzen Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien und Nord-Ossetien stehen an der Seite mit der al-Qaida nahen Jabhat al-Nusra Front, die im Gegensatz zur Masse der Widerständler gegen Assad die Errichtung eines Kalifats auf syrischem Boden anstrebt.  Verschiedene Nachrichtendienste beziffern die Zahlen militanter Islamisten aus Russland derzeit in Syrien auf 400 bis 500 Tschetschenen, 600 Dagestanis sowie 200 aus anderen Regionen des Nordkaukasus. Sergej Smirnov, Vizedirektor des FSB, sagt: „Diese Männer werden nach Hause zurückkommen und sind für uns eine potenzielle Gefahr“. Manche der kaukasischen Islamisten in Syrien haben Erfahrung im Häuserkampf und aus den früheren Gefechten mit der russischen Armee im Nord-Kaukasus. Sollten die nord-kaukasischen Mujaheddin, wie sie sich inzwischen nennen, vom syrischen Bürgerkrieg nach Russland zurückkehren, werden sie sich, so die Befürchtung des FSB dem Kaukasus-Emirat von Doku Umarow anschließen und sich in den anti-olympischen Chor der Islamisten und deren Ziele einreihen.

Unterstützer aus dem Ausland
Die Olympischen Winterspiele von Sotschi im kommenden Jahr werden von den seit Jahren schwelenden Konflikten in den benachbarten Republiken, vor allem in Dagestan, Tschetschenien und Inguschetien überschattet. Allein im vergangenen Jahr kamen im Nord-Kaukasus 700 Menschen ums Leben, so die Angaben der „International Crisis Group“. Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund aus dem Nordkaukasus, die in Verbindung mit dem Kaukasus-Emirat Doku Umarows standen, blieben bislang in Europa aus. Allerdings wurden in den letzten drei Jahren islamistische Terrorzellen in Belgien und in Tschetschenien selbst ausgehoben, die Aktionen in Europa geplant haben sollen. Unbestritten ist jedoch eine in Europa ansässige Sympathisantenszene für das Kaukasus-Emirat. Auch der deutsche Verfassungsschutz sorgt sich und beobachtet die Entwicklung. Denn das Kaukasus-Emirat von Doku Umarow hat auch in Deutschland schon Wurzeln geschlagen. Nach Einschätzung der Kölner Behörde leben in Deutschland ca. 500 tschetschenische Separatisten, von denen ungefähr 200 bereit sind, Terroranschläge zu unterstützen. Schon heute  liefern sie logistische und finanzielle Hilfe für ihre Brüder in den Krisenrepubliken des Nord-Kaukasus.

Allein in diesem Jahr sind mehr als 12.000 Personen aus Russland nach Deutschland gekommen. 90 Prozent davon aus Tschetschenien. Deutsche Verfassungsschützer schließen nicht aus, dass aus dieser großen Personengruppe heraus es durchaus Personen geben kann, die in Terroranschläge auf vielfältige Weise bei Planung oder Durchführung eingebunden sein könnten, vielleicht weniger in Deutschland als in Russland, auch in Sotschi. Um zu verhindern, dass von deutschem Boden aus so etwas geschieht, sagte kürzlich Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen in einem Interview: „Wir sind da sehr alert, sind sehr aufmerksam, auch was Sotschi angeht!“

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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