Drei Fragen an Generalleutnant Hans-Werner Fritz, Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr

Drei Fragen an Generalleutnant Hans-Werner FritzGeneralleutnant Hans-Werner Fritz trat 1973 in den Dienst der Bundeswehr. Nach dem Studium an der Universität der Bundeswehr Hamburg und mehreren Führungsaufgaben folgte 1995 die Verwendung als Referent im Führungsstab der Streitkräfte im Bundesministerium der Verteidigung. Danach diente er unter anderem als Heeresattaché an der deutschen Botschaft in London, als Stabschef in Bosnien und Herzegowina und wurde 2005 Stabschef im Heeresamt Köln. Von 2010 bis 2011 kommandierte Generalleutnant Fritz das deutsche Einsatzkontingent ISAF in Afghanistan. Nach zwei Jahren als Abteilungsleiter im Bundesministerium der Verteidigung in Berlin wurde er im April 2013 zum Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr.

Frage 1: Herr General, was antworten Sie den Kritikern hier in Deutschland, die sagen, der mehr als zehnjährige Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan war sinnlos, 54 deutsche Soldaten seien dort sinnlos gestorben?

Rückblickend hat man zu Beginn des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan möglicherweise die Dimension – vor allem die zeitliche – dieser Mission der internationalen Gemeinschaft unterschätzt. Dennoch ist entscheidend: Afghanistan geht es im Jahr 2013 nach meinem persönlichen Urteil deutlich besser als unter der Herrschaft der Taliban.

Ziel des ISAF-Einsatzes war von Beginn an die Unterstützung des Wiederaufbaus des afghanischen Staates durch die Schaffung tragfähiger Regierungs- und Verwaltungsstrukturen und den Aufbau durchsetzungsfähiger Sicherheitskräfte. Dies bedeutete die Übernahme umfassender Verantwortung. Erfolge stellen sich nur auf lange Sicht und nur in kleinen Schritten ein. So hat sich sowohl die Sicherheitslage als auch die Lage der Bevölkerung in vielen Provinzen Afghanistans deutlich verbessert. Der Zugang zu Trinkwasser, medizinischer Versorgung, zu Schulen und Universitäten ist wesentlich einfacher geworden. Die erweiterte Versorgung mit Energie und eine weit ausgebaute Verkehrsinfrastruktur kommen der Bevölkerung zugute. Politische Partizipation ist möglich.

Heute geht für die Welt keine terroristische Gefahr mehr von Afghanistan aus. Damit das so bleibt, sollte die internationale Gemeinschaft die Afghanen, solange sie es selbst wollen,  auch in Zukunft weiter unterstützen. Das Fundament dafür ist gelegt; die Folgemission Resolute Support ab Januar 2015 dient diesem Zweck.

Zur Herstellung von Sicherheit in Afghanistan, als Voraussetzung von Freiheit und Entwicklung, war der Einsatz von deutschen Soldaten und Soldatinnen unerlässlich. 54 deutsche Soldaten haben in Afghanistan ihr Leben verloren. Viele Soldaten wurden an Leib und Seele verwundet. Der Tod eines jeden einzelnen Kameraden berührt mich zutiefst und hinterlässt eine große Lücke, die insbesondere für die Angehörigen und Freunde nicht zu schließen ist. Wir dürfen das Opfer dieser Kameraden niemals vergessen. Mit dem „Wald der Erinnerung“ wird in der Henning-von-Tresckow Kaserne im Jahr 2014 ein Ort geschaffen, an dem Hinterbliebene, der im Einsatz und im Dienst bei der Bundeswehr verstorbenen Kameraden gedenken können.

Frage 2: In Afghanistan mussten deutsche Soldaten erstmals seit dem 2. Weltkrieg wieder kämpfen. Diese Männer und Frauen haben gezeigt, dass sie kämpfen können. Welchen Stellenwert haben  diese und andere Erfahrungen aus Afghanistan für die künftige Rolle der Bundeswehr, auch im Kontext ihrer Neuausrichtung?

Die Bundeswehr hat in den letzten 15 bis 20 Jahren eine deutliche Entwicklung zur Einsatzarmee vollzogen. Damit geht einher, dass die Bundeswehr vom Einsatz her denken muss. Die Gestaltung der Strukturen und der Organisationbereiche der Bundeswehr folgt exakt diesem Grundsatz.

Die Erfahrungen aus dem Einsatz in Afghanistan, wie auch z.B. aus den Einsätzen in Mali, im Kosovo oder am Horn von Afrika, fließen darin ein. Die Bündelung von Kompetenz und Verantwortung und eine klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten sind die zentralen Gestaltungsprinzipien, die Bundesminister Dr. Thomas de Maizière für die Strukturen vorgegeben hat und die konsequent umgesetzt werden.

Aus den Erfahrungen der Einsätze hat die Bundeswehr vielerlei Lehren gezogen. So ist beispielsweise das neue Schießausbildungskonzept ein Ergebnis aus dem Afghanistan-Einsatz. Auch bei der Ausrüstung der Soldaten wurde vieles verbessert. Künftig bleibt es wichtig, im Bereich der Ausrüstung flexibel auf sich ändernde Einsatzszenarien zu reagieren. Die Fahrzeuge Boxer, Dingo und Eagle sind Beispiele dafür, dass dieser Grundsatz auch für die Fahrzeuge und Waffensysteme der Bundeswehr gilt.

Deutsche Soldaten können heute nach einem Beschluss des Bundestages überall auf der Welt eingesetzt werden. Sie sind dabei fest in multinationale Strukturen eingebunden und arbeiten auf allen Ebenen eng mit Soldaten und zivilen Mitarbeitern anderer Nationen zusammen. Diese Tatsache stellt hohe Anforderungen an unsere Ausbildung, Ausrüstung und Interoperabilität sowie an die Persönlichkeit unserer Soldaten. Unsere Soldaten müssen zur Erfüllung ihres Auftrages gleichzeitig Schützer, Helfer, Vermittler und natürlich auch Kämpfer sein. Jede dieser Rollen in der richtigen Situation einzunehmen, ist die große Herausforderung an jeden Soldaten und eine wichtige Lehre aus den Auslandseinsätzen.

Frage 3: Herr General, der Krieg in Afghanistan wurde in der deutschen Öffentlichkeit kaum, bei manchen gar nicht wahrgenommen. Häufig kamen Betroffenheit und Wahrnehmung erst dann auf, wenn ein Soldat gefallen war und ein Sarg vom Hindukusch nach Deutschland gebracht wurde. Was muss Ihrer Meinung nach künftig geschehen, um – besonders bei Auslandseinsätzen – von Beginn an das Schicksal und die Leistungen unserer Soldaten stärker ins Bewusstsein und in die Wahrnehmung der Menschen hierzulande zu bringen?

Gefechte, Selbstmordanschläge, der Tod von deutschen Soldaten und die Heimkehr an Leib und Seele Verwundeter nach Deutschland – dies alles hat in der deutschen Öffentlichkeit bereits zu einer veränderten Wahrnehmung des Einsatz deutscher Soldaten im Ausland geführt. Wir sind als Soldaten – vom General bis zum Mannschaftssoldaten – auch selbst gefordert. Wir müssen viel mehr über unsere jeweiligen Aufträge, über unsere tägliche Arbeit und über unsere Anstrengungen in den Auslandseinsätzen berichten und erklären.

In dem Bereich der Informationsarbeit der Bundeswehr stelle ich eine positive und erfreuliche Entwicklung fest. Jedoch gilt es auch hier, sich weiter zu bemühen, um die Öffentlichkeit transparent, sachgerecht und zeitnah über die Einsätze der Bundeswehr im Ausland zu informieren.

Des Weiteren kann ich eine öffentliche Diskussion über die Auslandseinsätze nur begrüßen. Wir suchen von uns aus immer wieder den Dialog mit der Öffentlichkeit. Letztlich muss die Debatte über die Einsätze der Bundeswehr aus der Gesellschaft selbst heraus kommen. Hier sollte die Frage diskutiert werden, was unser gemeinsames Verständnis von den außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands ist und wann diese Interessen durch den Einsatz von Soldaten gesichert werden müssen.

Die Fragen stellte Rolf Tophoven, Direktor des IFTUS – Institut für Krisenprävention.

Quellenangaben
Titelbild: Rolf Tophoven

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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