Rechtsruck in Deutschland und Europa – gesellschaftliche Bewegung und politische Ströme

Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, doch die nationalsozialistische Ideologie existierte weiterhin in den Köpfen mancher Leute. Die Schaffung der Europäischen Union, ihre liberalen, demokratischen Werte sowie die Integration und Verflechtung der europäischen Länder ließ hoffen, dass die Nationen in Europa diese menschenunwürdige Ideologie überstanden hätten.

Doch seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 und insbesondere unter dem Druck der wachsenden Flüchtlingsströme nach Europa erhalten Vertreter der rechten, faschistischen und nationalsozialistischen Szene Zulauf. Dies passiert auf verschiedenen Ebenen in den jeweiligen europäischen Mitgliedsstaaten, aber unsere Geschichte und die heute intensive Verknüpfung zwischen Staaten, Politik und Gesellschaften mahnen, einen Blick auf die verschiedenen Tendenzen zu werfen, um einen wachsenden „Rechtsruck“ in den Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten zu verhindern und an Europas Werten der Freiheit, Gleichheit, Menschenwürde und Demokratie festzuhalten.

Rechtsextremismus kann viele verschiedene ideologische Ausprägungen haben. In Deutschland ist in den letzten Jahren insbesondere die Islamfeindlichkeit, die insgesamt zur Fremdenfeindlichkeit gehört, gewachsen. Anhänger dieser Ideologie verfolgen auch das Ziel einer Volksgemeinschaft, die in vielen Aspekten im Gegensatz zur pluralistischen Demokratie steht. Verbreitung von Vorurteilen und Angstschürerei gehören zur Propaganda dieser Rechtsextremisten. Obwohl die Mitgliederzahlen der rechten Parteien in Deutschland in den letzten drei Jahren abgenommen haben, erhielten Bewegungen wie Pegida enormen Zulauf. Das begründet sich unter anderem in einer hohen Unzufriedenheit mit der Politik und in dem Gefühl, nicht gehört bzw. nicht Ernst genommen zu werden. Dadurch erscheint die Gewalt als nützliches Mittel, einen Umschwung zu erreichen oder zumindest die Aufmerksamkeit der Politik zu gewinnen. In diesem Sinne ist die Zahl der rechten Gewalttaten seit 2013 deutlich gestiegen (eine Zunahme von 23 Prozent im Jahr 2014 gegenüber 2013).

Auch die ständig wachsende Zahl von Hass- und Hetzreden im Internet sowie die Angriffe auf Asylunterkünfte, die sich 2014 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdreifacht haben, zeugen von den steigenden Aktivitäten der gewaltorientierten Rechtsextremisten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat diese Zahl 2014 auf 10.500 geschätzt hat.

Gewaltbereitschaft von Rechts nimmt zu
Die Folgen der Kombination von Unzufriedenheit mit der Politik und hoher Gewaltbereitschaft in der rechtsextremistischen Szene haben sich vor einigen Wochen mit dem Anschlag auf die Kölner Oberbürgermeisterin (damalige Kandidatin) Henriette Reker gezeigt. Der Täter, der die Oberbürgermeisterkandidatin niederstach, ist laut Polizei eindeutig der rechen Szene zuzuordnen.

Folglich empfiehlt es sich für die Politik, schnellstmöglich auf die verschiedenen Ströme und Aktivitäten der rechtsextremistischen Bevölkerung zu reagieren und deren Einfluss zu verringern. Eine Verschiebung auf die politische Ebene würde die Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Anschlägen reduzieren.

Tendenzen in Europa
Auf europäischer Ebene sprechen Politologen schon seit 2014 von einem „Rechtsruck“. Bei den Europawahlen gewannen in Großbritannien, Frankreich und Dänemark rechtspopulistische Parteien. Die Auswirkungen der Flüchtlingskrise sind deutlich bei den Regionalwahlen in Österreich und den nationalen Wahlen in der Schweiz zu erkennen. In Österreich wurde die FPÖ zweitstärkste Partei, die ihr Augenmerk auf eine strenge Asylpolitik legt. In der Schweiz gewann die rechtsnationale Schweizer Volkspartei die Wahlen und hat nun zusammen mit der rechtsliberalen FDP und zwei weiteren kleinen rechten Parteien die knappe Mehrheit in der Parlamentskammer.

Auch wenn diese Ergebnisse beunruhigend sind, ist eine politische Kanalisierung der Sorgen und damit eine politische Antwort gegenüber gewaltbereiten gesellschaftlichen Gruppierungen vorzuziehen. Nichtsdestotrotz sollten die regierenden Parteien in Deutschland und Europa reagieren, um den „Rechtsruck“ in der Bevölkerung zu verringern und der Beliebtheit rechtsextremistischer Ideologien zuvorzukommen. Können oder wollen wir hier nicht aus der Vergangenheit unsere Lehren ziehen?

Uwe Gerstenberg ist Geschäftsführer der consulting plus Holding GmbH

Uwe Gerstenberg
Uwe Gerstenberg, geboren 1961 in Berlin, schied 1987 als Offizier aus der Bundeswehr aus. Als Militärpolizist war er national und international im Einsatz und in den letzten Jahren seiner Dienstzeit in der Sicherungsgruppe des Bundesministeriums für Verteidigung beschäftigt. Uwe Gerstenberg ist seit nun mehr als 30 Jahren in der privaten Sicherheitswirtschaft in leitender Funktion tätig und war u. a. Sicherheitsverantwortlicher für eine internationale Unternehmensgruppe. Nach dem Wechsel in die Dienstleistungsbranche führte ihn sein beruflicher Werdegang in unterschiedliche Sicherheitsunternehmen als Niederlassungsleiter, Prokurist und Geschäftsführer. Als Mitgründer und Geschäftsführender Gesellschafter leitet er seit 1997 die consulting plus Unternehmensgruppe und ist zudem Geschäftsführer weiterer Tochterunternehmen. 2001 gründete er das damalige Institut für Terrorismusforschung & Sicherheitspolitik, dem heutigen Institut für Krisenprävention, IFTUS. Seit 2003 ist Uwe Gerstenberg u. a. Stiftungs- bzw. Kuratoriumsmitglied im Deutschen Forum für Kriminalprävention und war von 2009 bis 2014 Vizepräsident des Kuratoriums. Ferner ist er Mitglied im Security-Beirat der Messe Essen und im Anwenderrat für Compliance und Integrity. Er vertritt in diversen weiteren Fachverbänden die Interessen der Sicherheitswirtschaft. Uwe Gerstenberg ist Autor zahlreicher Buchbeiträge und Fachartikel.
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