Auf dem Weg in den Dschihad: deutsche Salafisten auf dem Weg nach Syrien – ein aktuelles Lagebild

Sie kämpften in Tschetschenien, Bosnien, Afghanistan und mischten sich unter die Revolutionäre der Muslimbruderschaft in Ägypten, jüngster attraktiver Sammelpunkt ist Syrien: Aus der ganzen Welt zieht es junge Kämpfer in den Krieg gegen das Assad-Regime. Es sind Söldner des Dschihad, des „Heiligen Krieges“.

Jüngste Studien und Schätzungen sprechen von bis zu 10.000 ausländischen Kämpfern in Syrien, das sind zehn Prozent der annähernd 100.000 Aufständischen gegen das Assad-Regime. Allein bis zu 2.000 Europäer sollen nach Erkenntnissen westlicher Nachrichtendienste seit dem Beginn des Bürgerkrieges in Syrien gekämpft haben. Sie stammen aus dem gesamten Raum der Europäischen Union Viele sind dort getötet oder verwundet worden.

Unter den Europäern, die es in den Hotspot Syrien zieht, zählen die Sicherheitsbehörden mindestens 300 Dschihadisten aus Deutschland, Tendenz steigend. Wie rasant diese Entwicklung verläuft, skizziert Burkhard Freier, Leiter der Verfassungsschutzbehörde in Nordrhein-Westfalen: „Die Zahlen von heute sind in ein paar Tagen schon wieder überholt!“ Allein aus dem größten Bundesland Nordrhein-Westfalen schießen und bomben mehr als100 salafistische Dschihadisten in Syrien mit. Von diesen Zahlen sind bereits einige ausgereiste Personen wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Wer von ihnen sich aktiv an Kampfhandlungen vor Ort beteiligt hat, können auch die deutschen Sicherheitsbehörden schwer einschätzen oder bestätigen. Aufgrund von Bewertungen zurückgekehrter Personen aus Syrien gehen die Behörden von einem Dutzend Personen aus, dass sie sich aktiv am bewaffneten Widerstand gegen das Assad-Regime beteiligt haben. Viele der ausgereisten militanten Islamisten operieren auf dem Bürgerkriegsschlachtfeld auch als Logistiker oder sanitäre Hilfskräfte. Ferner liegen Hinweise vor, dass ca. 20 Deutsche bei Einsätzen in Syrien getötet wurden.

Ausreise einfach
Eine besorgniserregende Lage, denn im Vergleich zu den oft mühsamen Reisen der „Gotteskrieger“ ins pakistanisch/afghanische Grenzgebiet ist der Trip in das syrische Kriegsgebiet von Europa, insbesondere von Deutschland aus, relativ leicht. Via Türkei geht es mit Schleusern ins syrische Kampfgebiet. Personalausweis oder Reisepass genügen, wenn es sich um deutsche Staatsbürger handelt. Deutsch sind sie alle, die auf dem Pfad des Dschihad reisen. Die Ausreise ins syrische Konfliktfeld ist durch die Sicherheitsbehörden oft nur mit deutlichen und „wasserdichten“ Beweisen über die staatsgefährdenden Absichten des Reisenden zu unterbinden. Dazu müssten die Behörden der ausreisewilligen Person nachweisen, dass „bestimmte Tatsachen die Annahme begründen“, dass die Person „die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet“. Für diese Fälle kann auch der Personalausweis nicht zum Verlassen Deutschlands berechtigen. Schwierig für Sicherheitsbehörden bleibt jedoch in jedem Fall, den Ausreisewilligen eine Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit konkret nachzuweisen. Außerdem gelingt es radikalen Islamisten, denen der Pass entzogen wurde, häufig trotzdem, die Sicherheitsmechanismen zu unterlaufen und den Weg ins syrische Kriegsgebiet zu finden. Ein Islamist aus Bayern exerzierte das beispielhaft vor: Er reiste über Serbien nach Bulgarien, ging dann über die „grüne Grenze“ in die Türkei und fand von dort weiter den Weg nach Syrien.

Gefährlicher „Heldenmythos“
Allein im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der Salafsiten, also der Anhänger jener streng konservativen und mit Masse politisch fanatisierten und ideologisierten Gruppierung unter den Dschihadisten von 1.000 auf 1.500 in diesem Jahr gestiegen. Syrienkämpfer genießen nach ihrer Rückkehr vom Kampfeinsatz hohes Ansehen in ihrem jeweiligen salafistischen Umfeld. Die Gefahr für Deutschlands Sicherheit durch  Männer mit echter Kampferfahrung potenziert sich durch den sie umgebenden „Heldenmythos“ innerhalb bestimmter muslimischer Gemeinden. Derartige Attitüden können zur weiteren Radikalisierung beitragen. Die Gefahr durch kampferprobte Salafisten wird noch dadurch erhöht, dass sie Deutsche sind, zwar mit Migrationshintergrund, aber hier geboren, aufgewachsen und sozialisiert – ein ideales Profil, weil weitgehend unauffällig, eine perfekte Tarnung für eventuell geplante Terroranschläge.  Wie zuvor in den afghanisch-pakistanischen Terrorcamps werden die potenziellen Kämpfer in den simplen Taktiken des Kriegshandwerks durch erfahrene Söldner dschihadistischer Feldzüge ausgebildet. In Syrien gibt es inzwischen, trotz der verworrenen und immer unübersichtlicher werdenden Gemengelage in pro-Assad und contra-Assad agierenden Gruppierungen spezielle Camps, wo nur Europäer beziehungsweise nur Deutsche für den Dschihad gedrillt werden. Wie manche früher aus dem afghanisch/pakistanischen Grenzgebiet, kehren auch Syrienkämpfer in der Regel hochideologisiert in ihre Herkunftsländer zurück. „Sie leben“, so ein Ermittler, „unter uns wie tickende Zeitbomben!“

Dschihadistische Netzwerke
Neben der im syrischen Bürgerkrieg erworbenen Fähigkeiten, dem militärischen Know-how, unterhalten die Rückkehrer auch zu anderen dschihadistischen Netzwerken Verbindungen. Einer dieser Verbindungsstränge , besonders wichtig für die Rekrutierung junger Männer für den Einsatz in Syrien , verläuft zu den Resten der längst verbotenen Organisatioen „Millatu Ibrahim“. Im Mai 2012 verbot der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich diese salafistische Vereinigung, die in Solingen ihren Sitz hatte. Inzwischen agieren Anhänger der Gruppe weiter über die sozialen Netzwerke und verbreiten über das Internet ihre Botschaften. Die ehemalige Szene aus dem Umfeld der „Millatu Ibrahim“ organisiert sich zunehmend. Es haben sich Strukturen gebildet, die sich auch in Facebook-Freundschaften und in so genannten Kennverhältnissen widerspiegeln. Viele junge Extremisten aus dem Dunstkreise der Solinger Szene von „Millatu Ibrahim“ sind in Syrien oder wurden dort getötet.

Auffällig ist, dass viele der jüngst bekanntgewordenen Fälle von jungen Islamisten aus Deutschland sich in Syrien der Dschihadisten-Miliz „Islamischer Staat im Irak und Syrien  (ISIS)“ angeschlossen haben. Was Brutalität und Aggressivität angeht, zählt diese Bewegung unter ihrem Führer Abu Bakr al Baghdadi zu den radikalsten Dschihadistenorganisationen auf dem Kriegsschauplatz in Syrien. Die Gruppe hat sich von al-Qaida Führer Ayman al- Zawahiri losgesagt. Bei der Auswahl neuer Kämpfer, so wird kolportiert, sei die Gruppe weniger wählerisch als andere Formationen. Europäer würden besonders gerne genommen. In den Einflussgebieten der aus dem Irak eingesickerten Gruppierung sind Mord und Folter an der Tagesordnung. ISIS bildet in den von ihr eroberten Gebieten Kleinkalifate. Widersacher werden enthauptet und die Köpfe im Internet präsentiert. Zuletzt schockte das Bild eines aus Dinslaken stammenden türkischstämmigen Dschihadisten die Öffentlichkeit. Der Mann posierte lächelnd mit einem abgetrennten Kopf. Inzwischen geht aber nicht nur die Freie Syrische Armee gegen die ISIS – Islamisten vor, sondern auch andere Dschihad-Guppen, die unter anderem al-Qada nahestehen.

Zunehmend auch „Gotteskriegerinnen“
Jüngste Entwicklungen in der dschihadisisch-salafistischen Szene in Deutschland enthüllen den Sicherheitsbehörden ein relativ neues und schwer nachvollziehbares Phänomen. Denn immer mehr Frauen reisen in den Dschihad nach Syrien. Das BKA geht von mehr als 40 Fällen aus. Inoffizielle Schätzungen von Ermittlern liegen höher. Mehr als ein Viertel sind nach BKA-Angaben jünger als 21 Jahre. Während früher Frauen nur als Ehefrauen den Kämpfern folgten, reisen heute Frauen auch allein oder zu zweit – oft mit dem Ziel einer Heirat. Fachleute in den Sicherheitsbehörden betrachten diese Entwicklung mit Sorge.

Als Beispiel für ein derartiger neues Profil in der Islamisten-Szene kann der Fall einer 16 Jahre alten Gymnasiastin aus Konstanz dienen, die im Herbst vergangenen Jahres vom Stuttgarter Flughafen über die Türkei und von dort in ein islamistisches Ausbildungscamp in die Nähe von Aleppo gereist ist. Nach Erkenntnissen des LKA in Baden-Württemberg wird sie dort an der Waffe ausgebildet. Aus Syrien verschickte Sarah O., wie das Mädchen heißt, Fotos, auf denen sie vermummt und mit einer Kalaschnikow posiert. Im Hintergrund der Bilder ist die ISIS-Flagge zu sehen. In Aleppo heiratete sie am 4. Januar dieses Jahres  Ismail S., einen den Behörden bekannten Islamisten türkischer Herkunft, der zusammen mit seinem Bruder Emre S. im Frühjahr 2013 mit anderen Anhängern der verbotenen Salafisten-Gruppe „Millatu Ibrahim“ nach Ägypten ausreiste. Vom Nil zogen sie weiter nach Syrien. Für die Analysten in den Verfassungsschutzämtern und beim Staatsschutz ist der Fall der Sarah O. ein besonderer, denn zum erstenmal ist eine junge Frau bewusst als Kämpferin nach Syrien gegangen, heißt es in diesen Kreisen. In diesem besonderen Fall zeigt sich eine eigene frauenspezifische islamistische Motivation.

Salafistenbrüder aus Köln

Die Viten des Ehemanns von Sarah O., Ismail S. und seines Bruders Emre S. sind typisch für den Verlauf eines Abdriften in die salafisch-dschihadistische Szene: Im Alter von 16 Jahren hatte Ismail S. zusammen mit seinem Bruder und einem Freund in Köln die Besatzung eines Streifenwagens angegriffen, um die Dienstwaffen der Beamten zu erbeuten. Nach ihrer Festnahme schwadronierten die Jugendlichen, sie hätten in den Heiligen Krieg ziehen und Amerikaner töten wollen. Nach der Verbüßung einer Jugendstrafe radikalisierten sie sich rasch in der Salafisten-Szene. Während einer Demonstration der islamfeindlichen Organisation Pro NRW im Mai 2012 in Solingen standen sie in den Reihen der Salafisten, die Polizeibeamte attackierten. Sie wurden Mitglieder der Gruppe „Millatu Ibrahim“, reisten nach deren Verbot nach Ägypten, von dort weiter nach Syrien.
Die Mutter der Brüder wurde bei Reisen in die Türkei im November und Dezember am Flughafen Köln/Bonn kontrolliert. Bei einer Reise im November vergangenen Jahres entdeckten die Kontrolleure 50 Magazine für das Sturmgewehr AK 47 Kalaschnikow im Gepäck der Frau. Bei der zweiten Reise führte sie 187 Magazine mit sich. Bei dieser Reise hatte sie auch drei Zielfernrohre, fünf Mobiltelefone und die Reisepässe ihrer Söhne dabei. Die Frau konnte beide Male mit der kompletten Ausstattung weiterreisen,  berichtete die  „Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)“. Das Innenministerium, so der Zeitungsbericht, wolle angesichts eines laufenden Ermittlungsverfahren , das die Staatsanwaltschaft Köln in dieser Sache gegen die Frau eingeleitet habe, nicht Stellung nehmen. Unabhängig davon sei aber klar, dass Magazine für Sturmgewehre des Typs AK 47 Kalaschnikow ausfuhrgenehmigungspflichtig seien und für Syrien ein Ausfuhrverbot gelte.

Persönliche Ansprache zur Rekrutierung
Angesprochen und rekrutiert werden die Syrien-Kämpfer durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Salafistische Werber verteilen kostenlos Koranexemplare, halten Seminare in Moscheen und muslimischen Instituten ab, veranstalten auf der Straße, sogar vor Schulen, massive Propagandakampagnen. Wichtigsten Propagandaelemente sind Rekrutierungsvideos und Audioclips führender Prediger der Salafistenszene im Internet. Entscheidend für das Anwerben eines Mujahid (Gotteskrieger) ist oft jedoch die persönliche Ansprache in einem kleinen Kreis durch einen Imam oder die Führerperson eines Islamistenzirkels. Besonders wirksam sind jedoch im Rekrutierungsprozess „Brüder“, wie sie sich untereinander nennen, die vom Einsatz aus Syrien zurückkehren. Ihnen fällt es oft leicht, neue Akteure für den „heiligen Krieg“ zu gewinnen. Am Ende einer solchen Kette steht dann oft der Einsatz des jungen Salafisten in Syrien. „Es ist wie ein Prozess, der sich da abspielt“, sagt ein Verfassungsschützer. Besonders polarisierend und daher für viele junge Muslime attraktiv wirkt der deutsche Konvertit Pierre Vogel – ein charismatischer Prediger des Dschihad. In vielem triff Vogel in seinen Auftritten den Ton junger Muslime oder auch Deutscher, die zum Islam konvertieren. Er spricht junge Menschen, die auf der „Sinn“-Suche in ihrem Leben sind in deren eigenen Lebenswelten an.

Es ist müßig über besondere Zentren des militanten Salafismus in Deutschland zu sprechen. Immer wieder werden  bestimmte Städte als Hochburgen des Salafismus verortet – wie Bonn zum Beispiel. Doch dies will Burkhard Freier so nicht gelten lassen: „Man geht bei solchen Aussagen von Drohvideos aus, die Islamisten aus Bonn ins Internet gestellt haben, doch salafistische Zentren gibt es in allen großen Städten in Deutschland. Besonders in NRW, denn hier leben 1,5 Millionen Muslime, ein Drittel auf Gesamtdeutschland bezogen. In den städtischen Ballungsräumen im Ruhrgebiet zum Beispiel haben militante Salafisten ideale Möglichkeiten zu anonymen und konspirativen Verhaltensweisen. Zudem ist  in vielen Großstädten die Migrantenszene besonders hoch!“

Mögliche Gegenmaßnahmen
Um diese „tickenden Zeitbomben“ zu entschärfen müssen Studien und Programme aufgelegt werden, die nach Ursachen für das Abdriften in den militanten Dschihadismus forschen und Aussteigerprogramme anbieten. Für die Verfassungsschützer in Düsseldorf und ihre Kollegen in anderen Bundesländer steht fest: Das Problem des Salafismus und seiner militanten Ausprägung ist kein Ausländerphänomen, nicht von außen hereingetragen, es ist hier bei uns angesiedelt, hier gemacht. „Es ist“, so Behördenchef Freier, „ein Problem dieser Gesellschaft!“ Wenn dem so ist, ist die Gesellschaft gefordert, sich dieses Problems anzunehmen. Zugespitzt könnte man formulieren: Die Gesellschaft produziert die Salafisten! Sicherheitsbehörden können das Problem allein nicht lösen. Sie sind vor allem im präventiven  und operativen Raum tätig. Dennoch versuchen auch sie, sich der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu stellen, hier lebende muslimische Jugendliche, mit deutschem Pass, vor dem Abdriften in den Kreis radikaler Prediger und den Zug in den militanten Dschihad, zu bewahren und aufzufangen. Dazu baut die Verfassungsschutzbehörde  in NRW  derzeit einen Präventionsapparat auf, in den auch Erfahrungen aus dem zum Teil erfolgreich durchgeführten Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten einfließen. „Doch die Schwierigkeiten liegen hier deutlich höher, da bei Aussteigern aus dem islamistischen Milieu die Religion hinzukommt und diese spielt gemeinhin eine große Rolle“, so ein Verfassungsschützer!

Rolf Tophoven
Rolf Tophoven leitet das Institut für Krisenprävention (IFTUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner journalistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sind der Nahostkonflikt sowie der nationale, internationale und islamistische Terrorismus. Kontakt: E-Mail: info@iftus.de
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