Wie finanziert sich der „Islamische Staat“ (IS)?

Der IS braucht Geld für Waffen, Munition und technische Geräte. Gleichzeitig bezahlt er Gehälter an seine Kämpfer und übernimmt die Rolle eines Staates in all seinen politischen und sozialen Funktionen. Wie aber finanziert die Terrororganisation ihre Ausgaben?

Im Gegensatz zu anderen Organisationen, wie al-Qaida, erhält der IS keine finanzielle Unterstützung von sympathisierenden Staaten (1). Stattdessen setzt sich die Finanzierung aus verschiedenen Quellen zusammen. Diese beinhalten das Eintreiben von Schutzgeld und Steuern sowie Mieten von enteigneten Wohnungen, Lösegeld durch Entführungen, den Verkauf von archäologischen Gegenständen, Lizenzen für Kriminelle, die ihnen erlauben, antike Grabungsstätten zu plündern, und letztlich die Unterstützung reicher Privatleute aus den Golfstaaten (2). Die wichtigste Einnahmequelle ist allerdings die Ausbeutung der Ölfelder, welche in den eroberten Gebieten in Ostsyrien und im Norden des Iraks liegen. Bis August 2014 waren zwischen 13 und 15 Raffinerien unter der Kontrolle des IS, wodurch dieser ein Einkommen von geschätzten 2 bis 3 Millionen US-Dollar pro Tag hatte. Gehandelt wurde mit bestimmten Schwarzmarktkartellen in Syrien, im Irak aber auch in der Türkei (3). Durch die US-Offensive im Dezember 2014 verlor der IS jedoch die Kontrolle über wichtige Ölfelder, wodurch sich die Einnahmen um 70 bis 80 Prozent reduzierten (4).

Steuern und Plünderung
Die zweite wichtige Einnahmequelle setzt sich aus Steuern und Schutzgeldern zusammen. In dem Versuch, einen eigenständigen Staat aufzubauen, möchte der IS das „tyrannische“ westliche Finanzsystem abschaffen und durch ein neues ersetzen (5). Allerdings basiert auch dieses System auf Steuern. So verlangt der IS 300 US-Dollar pro Nahrungsmittelladung. Lieferungen mit elektronischem Inhalt werden mit 400 US-Dollar pro Ladung versteuert (6). Eine Pauschalgebühr von 800 US-Dollar wird an verschiedenen IS-kontrollierten Kreuzungen und Grenzen verlangt, wie an der Waleed Kreuzung zwischen Jordanien und dem Irak (7). Auch Landwirte müssen Steuern zahlen. Diese besondere Versteuerung beruht auf der Ablehnung des IS, sich beruflichen Alternativen zu widmen, statt sich dem Jihad zu verpflichten. Die Propaganda des IS empfiehlt Muslimen, ihren Lebensunterhalt durch den Jihad zu verdienen und sich an den landwirtschaftlichen Produkten ihrer Feinde zu bereichern. Da sich die Führung des IS aber bewusst ist, dass eine gewisse Form von Agrikultur notwendig ist, um als Staat eigenständig zu sein, werden Landwirte geduldet, müssen allerdings Steuern als Beitrag zum Kampf zahlen (8). Außerdem wurde eine Steuer für jene Christen und Juden eingeführt, die den Krieg gegen die Unheiligen überlebt haben (9). Auch diese Erlaubnis hängt mit der neuen Rechtsordnung zusammen, die der IS etabliert hat. Anstatt Christen und Juden zu vertreiben und zu töten, werden sie als Einnahmequelle genutzt. Im Austausch gegen jährliche Steuern dürfen sie im Kalifat leben und arbeiten. Jesiden allerdings, sind von dieser Regelung ausgenommen und werden ohne Ausnahme getötet. Muslimische Familien müssen Steuern begleichen, die nach dem Einkommen ihrer Familie gestaffelt sind. Ebenfalls von Steuern betroffen sind die Telekommunikation und andere kommerzielle Aktivitäten. Mehrwertsteuern auf verschiedene Produkte, beispielsweise Medikamente, wurden eingeführt und liegen zwischen 10 und 35 Prozent pro Produkt (10).

Die Einnahme der Stadt Mossul erwies sich nicht nur durch die Erträge von Steuern und Schutzgelderpressung lukrativ, sondern ermöglichte dem IS auch die Einnahme von geschätzten zwei Milliarden US-Dollar aus der Irakischen Zentralbank (11). Die Raubzüge und Eroberungen von Gebieten und Städten sowie Siege über andere jihadistische Gruppierungen versorgen den IS mit Waffen, Munition und Fahrzeugen. Bei der Eroberung der Fallujah-Gegend plünderte der IS die Waffenarsenale der irakischen Armee und nahm so, neben Fahrzeugen und Maschinenpistolen, auch Munition, Mörser und Granaten in Beschlag (12). Derlei Erfolge bieten zusätzlich die Möglichkeit eines Weiterverkaufs der geraubten Gegenstände auf dem Schwarzmarkt. Der Verkauf und Schmuggel von Antiquitäten aus Kirchen und Gedenkstätten sowie wertvollen Besitztümern sind weitere Einnahmequellen des IS. Viele hohe Funktionäre der irakischen Baath-Partei haben sich nach deren Auflösung durch die Amerikaner 2003 dem sich entwickelnden Islamischen Staat im Irak angeschlossen und die finanziellen Rücklagen des IS damit um geschätzte zwei Milliarden US-Dollar bereichert (13).

Organisation und Infrastruktur
Neben diesen monetären Einnahmequellen sind zwei weitere Aspekte grundlegend für den Reichtum und die erfolgreiche Finanzierung des IS: Die Gruppe betreibt einen höchst organisierten und kontrollierten Finanzhaushalt. Excel-Tabellen werden perfide geführt und die Einnahmen werden klar ihrem jeweiligen Zweck zugeteilt (14). Des Weiteren sind die lokalen Zellen dazu aufgerufen, 20 Prozent ihrer Erträge an die höheren Stellen weiter zu leiten, von wo sie nach regionalen Bedürfnissen umverteilt werden (15). Einen entscheidenden Vorteil zieht der IS auch aus der guten Infrastruktur im Irak und in Syrien. Viele der vom IS kontrollierten Gebiete werden mit Elektrizität versorgt, die in Regierungsgebieten produziert und bezahlt wird (16). Außerdem sind viele IS-Mitglieder Angestellte der Regierung und gehen auch in den IS-kontrollierten Gebieten ihrer Funktion nach (17). Dadurch erhalten sie ihre Gehälter weiterhin aus der regulären Staatskasse, obwohl sie Mitglieder des IS und Vertreter der jihadistisch-islamistischen Ideologie sind. Solange die Regierungen in Damaskus und Bagdad diese indirekte Unterstützung nicht einstellen, profitiert der IS und spart enorme Summen. Das Dilemma dieser Situation für die Regierungen ist dennoch deutlich: Ein Stopp der Elektrizitätszufuhr und der Bezahlung ihrer Angestellten würde bedeuten, die eigene Bevölkerung im Stich zu lassen. Dennoch ist eine neue Tendenz der Regierungen in dieser Situation zu erkennen. Experten erwarten Schwierigkeiten für den IS bezüglich der Finanzierung eines gesamten Staates, falls die indirekte Unterstützung der Gaststaaten Irak und Syrien in Zukunft wegfällt (18).

Währung
Um das Kalifat auszuweiten, stärker zu etablieren und finanziell unabhängiger zu gestalten, hat al-Baghdadi 2014 die Einführung einer neuen Währung bekannt gegeben: der Islamische Dinar. Dieser enthält, wie im Koran vorgeschrieben, kein Papiergeld und ist eine 100-prozentige Edelmetall-Münzwährung, um von den westlichen Märkten unabhängig zu sein (19). Allerdings ist der Vorteil dieser neuen Währung für den IS fragwürdig. Experten erwarten, dass die neue Währung deutlich anfälliger für Währungsfluktuationen und stark abhängig von den schwankenden Weltmarktpreisen für Rohstoffe sein wird (20). Außerdem benötigt der IS Zugang zu einem großen Gold- und Silbervorkommen, um ausreichend Münzen für ein Kalifat, das sich über Syrien und den Irak erstreckt, bereitzustellen. Bisher ist der IS sehr erfolgreich in seiner Finanzierung. Die Zukunft wird allerdings zeigen, ob die Probleme der Einführung einer neuen Währung in Kombination mit den Bemühungen die Ölfelder zurückzugewinnen und der reduzierten Unterstützung in der existierenden Infrastruktur zu groß sind, um ein neues Staatswesen zu etablieren und den Jihad zu führen.

Quellen
(1) G. Steinberg, Der Islamische Staat im Irak und Syrien, Bundeszentrale für Politische Bildung, 2014 (http://www.bpb.de/politik/extremismus/islamismus/190499/der-islamische-staat-im-irak-und-syrien-isis).
(2) C. Verenkotte, Die reichste Terrorgruppe der Welt, Tagesschau, September,9 ,2014 (https://www.tagesschau.de/ausland/islamischer-staat-finanzen-100.html);G. Steinberg (Anm. i); Y. Musharbash, Wo der Terrort Staat macht, Die Zeit, 47, 2015, S.3.
(3) C. Verenkotte (Anm. 2)
(4) M. Alami, ISIS’s Governance Crisis (Part I): Economic Governance. Atlatnic Council., 2014 (http://www.atlanticcouncil.org/blogs/menasource/isis-s-governance-crisis-part-i-economic-governance)
(5) Ebenda.
(6) Ebenda.
(7) Ebenda.
(8) A. March, M. Revkin, Caliphate of Law: ISIS‘ Ground Rules, Foreign Affairs, April, 15, 2015 (https://www.foreignaffairs.com/articles/syria/2015-04-15/caliphate-law).
(9) D.B., The Islamic State: Can it govern?, The Economist, August, 25, 2014 (http://www.economist.com/blogs/pomegranate/2014/08/islamic-state).
(10) Radio Station Radio Free Europe/Radio Liberty -RFE/RL, In Mosul, Water, Electricity Shortages, And Warnings Of Disease, Oktober, 22, 2014 (http://www.rferl.org/content/mosul-disease-water-electricity-shortage/26650210.html)
(11) F. Naji, „Islamischer Staat” (IS): Entstehung, Ziele und Bekämpfung. Books on Demand.
(12) S. Schwartz, Islamic State Shows Off Vast War Booty Plundered in Iraq, The Blaze, Mai, 26, 2015 (http://www.theblaze.com/stories/2015/05/26/islamic-state-shows-off-vast-war-booty-plundered-in-iraq/).
(13) F. Naji (Anm. 11)
(14) H. Allam, Records show how Iraqi extremists withstood U.S. anti-terror efforts, McClatchyDC, Juni, 23, 2014 (http://www.mcclatchydc.com/news/nation-world/world/middle-east/article24769573.html).
(15) Ebenda.
(16) D.B. (Anm. 9).
(17) Ebenda.
(18) D.B. (Anm. 9).
(19) B. Daragahi, IS delcares its own currency. Financial Times, November, 13, 2014 (http://www.ft.com/cms/s/2/baf893e0-6b4f-11e4-9337-00144feabdc0.html#axzz3M4XVx69B); J. Maina, ISIS Announces its new gold dinar “currency”, CCN.LA, November, 16, 2014 (https://www.cryptocoinsnews.com/isis-announces-new-gold-dinar-currency/).
(20) Ebenda.

Friederike Wegener
Friederike Wegener, freie Mitarbeiterin des Security Explorer. Friederike Wegener studierte European Studies in den Niederlanden und Süd-Korea und hat einen Masterabschluss der französischen Universität Sciences Po Paris in International Security mit Fokus auf den Nahen Osten und Intelligence. Sie sammelte bereits Arbeitserfahrung bei consulting plus, der Delegation der Europäischen Union zu den Vereinten Nationen in Wien und bei dem UN Flüchtlingshilfswerk für die Palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten. Derzeit arbeitet sie bei der Europäischen Kommission im Generaldirektorat Migration und Inneres, in der Unit Prävention von Radikalisierung als Policy Officer in Brüssel. Im August 2018 erschien ihr Buch „Quo Vadis Palästina“ bei consulting plus, in dem sie das Leben als deutsche Studentin im besetzten Gebiet beschreibt und Einblicke in die komplexe politische nationale und international Konfliktlage im Arabisch-Israelischen Konflikt gibt.
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